Nach Abschluss des Insolvenzverfahrens des Unternehmers und der sog. "Wohlverhaltensperiode" ist ihm zwar die Restschuldbefreiung erteilt worden. Ungeachtet dessen klingelte jedoch der Gerichtsvollzieher an der Tür, um eine Forderung über eine halbe Million Euro zu vollstrecken; diese Forderung ist im abgeschlossenen Insolvenzverfahren als vorsätzlich-deliktisch angemeldet worden – der Schuldner hatte hiergegen zur Insolvenztabelle Widerspruch eingelegt.
Nun ist es nach der Insolvenzordnung so, dass derartig qualifizierte Forderungen ausgenommen sind von der Restschuldbefreiung:
§ 302 InsO – Von der Restschuldbefreiung ausgenommene Forderungen
Von der Erteilung der Restschuldbefreiung werden nicht berührt
1. Verbindlichkeiten des Schuldners aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung, sofern der Gläubiger die entsprechende Forderung unter Angabe dieses Rechtsgrundes nach § 174 Abs. 2 angemeldet hatte;
…Ausgehend von dieser gesetzlichen Regelung folgt nun das in juristischen Auseinandersetzungen und bei der Rechtsprechung beliebte Regel-Ausnahme & Gegenausnahme-Spiel:
Wenn der Schuldner der Forderung insgesamt widerspricht oder auch – was möglich ist – lediglich der “Qualität” als deliktische Forderung, muss der Gläubiger die Forderung bzw. die Eigenschaft als vorsätzliche unerlaubte Handlung prozessual feststellen lassen (sog. “Feststellungslast”).
Es geht weiter: wenn der Gläubiger bereits die Forderung vor dem Insolvenzverfahren – tituliert hatte, also etwa ein Urteil vorliegt, muss der Schuldner prozessual hiergegen (innerhalb einer kurzen Frist) vorgehen.
Und noch etwas komplizierter: wenn der Titel kein “reguläres Urteil” ist, sondern beispielsweise nur ein Vollstreckungsbescheid oder Versäumnisurteil, dann bleibt es doch dabei, dass der Gläubiger (noch einmal) klagen muss: Eben auf Feststellung der bereits titulierten Forderung als vorsätzliche unerlaubte Handlung. Für Gläubiger ist das unverständlich – vom BGH aber u. a. in verschiedenen Urteilen schlüssig begründet worden:
Sowohl Vollstreckungsbescheid (bzw. der zugrundeliegende Mahnbescheid) als auch Versäumnisurteil beruhen auf den einseitigen, vom Gericht nicht materiellrechtlich geprüften Angaben des Gläubigers. Über die behauptete “Qualität” als vorsätzlich-deliktisch hat noch kein Gericht entschieden – gerade diese Frage ist aber äußerst relevant für den betroffenen Schuldner, den es nur um die Restschuldbefreiung und der damit verbundenen (gerade mit Einführung der Privatinsolvenz bezweckten) Chance auf einen wirtschaftlichen Neuanfang geht.
In dem von mir prozessierten Fall ist es noch etwas komplizierter: Der Sachverhalt fällt in eine Zeit, als die gesetzliche Regelung der “Feststellungslast” des Schuldners, für den Fall, dass ein Urteil vorliegt, noch nicht in Kraft war. Wenn jedoch – wie vorliegend – nur ein Versäumnisurteil (ohne materiell-rechtliche Entscheidung des Gerichts über die Deliktseigenschaft) vom Gläubiger erstritten wurde und dies selbst nach Einführung des Überganges der Feststellungslast auf dem Schuldner nicht ausreicht, um dem Schuldner die Erhebung der Feststellungsklage aufzubürden, kann für die Zeit vor der Einführung der ausdrücklichen gesetzlichen Regelung erst Recht nicht dem Schuldner die Erhebung der Feststellungsklage zugewiesen werden.
Dafür spricht auch die Tatsache, dass mit gesetzlicher Einführung des Überganges der Feststellungslast auf den Schuldner bei (manchen) titulierten Ansprüchen auch eine Hinweispflicht des Insolvenzgerichts gegenüber dem Schuldner (dass er Feststellungsklage binnen einer bestimmten Frist erheben muss) festgeschrieben wurde.
Ist seitdem also gewährleistet, dass der Schuldner über die Folgen einer nicht fristgerecht erhobenen Klage unterrichtet wird und sein Handeln im Hinblick auf die für ihn enorme Bedeutung der Restschuldbefreiung ausrichten kann, war dies zuvor nicht der Fall: Auch in dem von mir vertretenen Fall ist der betroffene Schuldner natürlich nicht darüber belehrt worden, dass die Forderung über eine halbe Million Euro nicht von der Restschuldbefreiung erfasst werden könnte, wenn er nicht gegen die behauptete deliktische Eigenschaft klagen würde.
Ich gehe davon aus, dass die vorbeschriebenen Wertungsgesichtspunkte – die der BGH ausdrücklich mehrfach hervorgehoben hat – auch im vorliegenden Prozess letztlich berücksichtigt werden und mein Klient am Ende durchatmen und seine Chance auf einen wirtschaftlichen Neuanfang erhalten wird.